Loyalität

14. August 2024 | 0 Kommentare

Über Vertrauen wird viel geredet und geschrieben, weniger dagegen über Loyalität. Dabei hängt beides eng zusammen. Loyalität meint die umgekehrte Richtung von Vertrauen, also nicht: Wem vertraue ich, sondern wem bin ich verbunden, und wer kann und darf mir zu Recht vertrauen? Loyalität bezeichnet damit zwar weniger als Liebe, aber deutlich mehr als ein unverbindliches Miteinander. Der Begriff steht für eine bestimmte Qualität der Verbundenheit. Dazu gehören Anständigkeit, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit, Respekt vor Spielregeln, Treue, Fairness, Zuverlässigkeit, manchmal Verschwiegenheit und das Einstehen füreinander. Umgangssprachlich kommt das ungefähr so zum Ausdruck: „Dem (oder der) kann man trauen. Der ist loyal.“ Wer Vertrauen schenkt, erwartet im Gegenzug häufig Loyalität. Und umgekehrt. Es ist wie bei einem Tauschgeschäft

Sozialverbände sind auf Loyalität angewiesen. Partnerschaften, Familien, Freundeskreise, Vereine, Religionsgemeinschaften und andere Gruppen müssen – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – füreinander einstehen. Das gilt selbst noch für Bandidos und für die Mafia, die einen besonders strengen Verhaltens- und Ehrenkodex pflegen. Dabei geht es nicht nur um Loyalität gegenüber Personen, sondern auch gegenüber gemeinsamen Zielen und Werten. In Krisensituationen zeigt sich, wie belastbar solche Loyalitäten sind. Dann kommt es darauf an, ob man sich wechselseitig aufeinander verlassen kann. Das bedeutet auch, dass Loyalität keine hierarchische Einbahnstraße ist. Sie gilt nach allen Seiten und Richtungen, von unten nach oben, aber auch von oben nach unten. Loyale Mitarbeiter brauchen loyale Chefs – und umgekehrt. Loyalität ist im Grundsatz positiver Sozialkitt. Wer – ausdrückliche oder stillschweigende – Loyalitätserwartungen einer Gruppe enttäuscht, muss mit Sanktionen rechnen. Das ist vollkommen in Ordnung, denn nur so kann eine Gruppe sich stabilisieren und ihre Identität bewahren. Dies gilt in kleinen ebenso wie in großen Sozialverbänden. Einen Sonderfall stellt der moderne Staat dar. Staatsdiener, insbesondere Beamte und Soldaten, sind zur Loyalität bzw. zur Verfassungstreue gesetzlich verpflichtet. Für alle anderen gibt es lediglich die allgemeine Rechtspflicht zur Gesetzestreue, aber keine spezifische Pflicht zur Staats- und Verfassungsloyalität. In Berlin wird das gerade anlässlich der Vergabe von öffentlichen Fördergeldern wieder diskutiert. Die Wahrheit ist: Die Wehrpflicht ist ausgesetzt. Keiner muss sich für Politik interessieren. Eine Wahlpflicht kennt unser Rechtssystem nicht. Es gibt auch keine Pflicht, ein netter und rücksichtsvoller Mensch zu sein, sich ehrenamtlich zu engagieren oder unsere Verfassung und ihre Werte zu achten. Wer nicht einer besonderen rechtlichen Loyalitätspflicht unterliegt, hat sogar das Recht, sich aktiv gegen diesen Staat und gegen diese Verfassung zu stellen, solange er sich dabei an die Gesetze hält. 

Andererseits liegt es auf der Hand, dass ein demokratischer Staat ohne ein gewisses Maß an Loyalität seiner Bürgerinnen und Bürger nicht bestehen kann, auch wenn man sie nicht erzwingen kann. Sie beruht auf einem freiwilligen Akt, zum Beispiel der Bereitschaft, an politischen Wahlen teilzunehmen. Wenn Loyalitätserwartungen des Staates nicht erfüllt werden, bleibt das in unserem Land sanktionslos. Man kann von einem staatlichen Loyalitätsdilemma sprechen: Um der Freiheit willen hat jeder das Recht, seine Loyalität gegenüber dem Staat zu verweigern, obwohl die staatliche Gemeinschaft darauf angewiesen ist, dass viele gegenüber dem Staat loyal sind. Ob beispielsweise eine Wahlpflicht sinnvoll wäre, kann man zwar diskutieren. In anderen europäischen Ländern gibt es das, zum Beispiel in Italien. Eine andere Frage ist es allerdings, ob das viel bringt, zumal die staatlichen Sanktionen meistens nicht ins Gewicht fallen (in der Regel kleine Geldbuße). 

Das grundsätzliche Loyalitätsdilemma im staatlichen Raum kann sich verschärfen, wenn kulturelle, weltanschauliche und andere gesellschaftliche Unterschiede in der Bevölkerung zu stark auseinanderdriften. Hier liegt meines Erachtens die offene Flanke der gesellschaftlichen Diversitätskonzeption, die selbst Ausdruck der Freiheitlichkeit unseres Gemeinwesens ist. Diversität muss zwar nicht notwendigerweise, aber sie kann spalten. Viele aktuelle politische Konflikte haben ihre Wurzel im Spaltungspotenzial gesellschaftlicher Differenz, nicht zuletzt bei der Migration. So gab es noch nie Proteste, wenn beispielsweise Briten nach dem Brexit sich in Deutschland einbürgern lassen wollen. Da, wo die Unterschiede als zu groß empfunden werden, sieht das allerdings ganz anders aus. Das Loyalitätsdilemma verschärft sich dann. Zu starke kulturelle und weltanschauliche Differenzen fördern nicht unbedingt die Loyalität gegenüber dem Staat und der Gesellschaft, insbesondere dann nicht, wenn diese Hintergründe freiheitsfeindlich, frauenfeindlich, antisemitisch oder demokratiefeindlich sind. Hierauf eine praktikable und wirklichkeitsgerechte Antwort zu finden, ist im Zeichen wachsender Migrantenströme eine politische Aufgabe von herausragender Bedeutung. Wie dieser Balanceakt ausgehen wird, ist noch ziemlich offen. Klar ist nur: Mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger wird man ihn ebenso wenig bewältigen wie mit Phantasien von völkisch-kultureller Homogenität.

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