Das Potsdamer Treffen zur sogenannten Remigration hat in weiten Teilen unseres Landes Demonstrationen gegen die AfD ausgelöst. Bürgerinnen und Bürger stellen sich die Frage „dabei sein oder nicht“. Aktuell findet ein gesellschaftlicher Sortierprozess statt, bei dem viele sich positionieren. Mit dem Mut zur Vereinfachung kann man dabei drei „Körbchen“ unterscheiden.
Im ersten Körbchen befinden sich die AfD Anhänger, ihre Sympathisanten, die von der Politik Enttäuschten, die Wütenden, Menschen, die sich mehr nach der Vergangenheit als nach der Zukunft sehnen, politische Denkzettelverteiler – und eindeutige Nazis. Im zweiten Körbchen sammelt sich eine bunte gesellschaftliche Mischung, die aus ganz unterschiedlichen Beweggründen in der Ablehnung völkischen Gedankenguts einig ist. Diese Gruppe versteht sich als breite gesellschaftliche Mitte und beruft sich vehement auf das Grundgesetz. Dabei gibt es allerdings auch Eiferer, die über das Ziel hinausschießen und pauschal „gegen rechts“ ideologisieren. Zur Erinnerung: Rechts darf man unter dem GG sein. Rechts ist nicht gleich Nazi. Dies auseinanderzuhalten ist demokratische Pflicht, auch für Linke. Das dritte Körbchen ist wohl am schwierigsten zu fassen. Hier einigt Gleichgültigkeit die gesellschaftlichen Kräfte. Es sind die Distanzierten, die „geht mich nix an Gemeinde“ und die nur um sich selbst Kreisenden, die gar nicht selten zugleich ziemlich wohlhabend sind. In England hat man diese Leute zu Zeiten des Brexits die „anywheres“ genannt (meint: Sie können sich überall in ein neues Zuhause einkaufen). In Deutschland passt vielleicht das Bild vom Zauberberg, auf dem die Wohlhabenden, die meinen, über den – politischen – Dingen zu stehen, sich komfortabel eingerichtet haben.
Meine These: Freiheitliche Gesellschaften scheitern in Wahrheit nur selten an ihren Gegnern, sondern zumeist am dritten Körbchen, also an denjenigen, die meinen sich heraus halten zu können. Rafik Schami hat das auf den Punkt gebracht: „Es gibt kaum eine Gruppe, die so viel Einfluss auf die Weltgeschichte hat wie die Gleichgültigen. Und das Bemerkenswerte daran ist, niemand spricht von ihnen. Ihre Passivität hat die radikalsten Umbrüche ermöglicht.“
Wer nicht gleichgültig ist, muss deswegen kein Revolutionär sein. In meinem demokratischen Basisbewusstsein gilt: Auch wenn wir uns nicht darüber einig sind, wohin wir politisch wollen, und auch wenn wir uns darüber zu unser aller Glück auch gar nicht einig sein müssen, so sollten wir doch darin übereinstimmen, wohin wir ganz entschieden nicht wollen. Diese Verbundenheit gründet keineswegs nur auf Ablehnung, sondern im letzten auf dem wechselseitigen Respekt und der Idee der Menschenwürde, die viele unterschiedliche Lebensformen gestattet. Aber nicht alle. Völkische Vorstellungen sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Unsere Verfassung errichtet deswegen eine wehrhafte, das heißt eine nicht-gleichgültige Demokratie. Die freiheitliche Welt besteht zwar oft mehr aus einem Nebeneinander als aus einem Miteinander ihrer Mitglieder. In ihr finden viele konkurrierende politische Projekte ihren Platz, aber kein völkisches Gedankengut. Dafür stehen allerdings viele in der AfD. Wer sich trotzdem hinter die AfD stellt muss wissen, dass er die Naziideologie der menschenverachtenden Ausgrenzung und des Hasses mit einkauft. Und wer davor die Augen verschließt übersieht, dass die AfD unserer freiheitlichen Demokratie den Kampf erklärt hat. Das schließt nicht aus, dass es im Programm der Partei auch einige Punkte geben mag, über die man diskutieren kann. Aber wer das eine will, der wird auch das andere bekommen. AfD ohne Naziideologie gibt es nicht. Und genau das ist der Grund dafür, dass die sonst eher träge und unsichtbare breite Mitte sich plötzlich vernehmbar macht und ihr Lebensmodell hochhält. Illusionen sollte man sich deswegen trotzdem nicht machen. Die in der Wolle gefärbten AfD-Sympathisanten wird man damit nicht zurückgewinnen, und einige werden auf den Wind, der ihnen entgegenschlägt, vorhersehbar trotzig reagieren. Dann ist das eben so. Das kann aber kein Grund dafür sein, sich vornehm zurückzuhalten. Viel wichtiger ist, was an anderer Stelle passiert. Vielleicht wacht der eine oder die andere im dritten Körbchen auf, bevor es ihm oder ihr ergeht wie großen Teilen der britischen Jugend beim Brexit. Die haben damals das Thema aus Desinteresse und Borniertheit schlicht verpennt. Wer sich nicht kümmert, wenn es darauf ankommt, und sich stattdessen lieber privat amüsiert, hat politisch gesehen eben Pech. Das kann leider zu Lasten von uns allen gehen, auch Demokratien sind Schicksalsgemeinschaften.
Das Grundgesetz gewährt um der Freiheit willen zwar das Recht gleichgültig zu sein und sich herauszuhalten. Das Paradoxe daran: Eine offene Gesellschaft lebt davon, dass es trotzdem genügend Menschen gibt die wissen, wann sie politisch gefordert sind. Mit Einheitsfront oder politischer Gleichschaltung hat das nichts zu tun, sondern im Gegenteil. Frei bleibt auf Dauer nur, wer um die Vielfalt und die Verletzlichkeit der Freiheit weiß. Und wer seinen Beitrag zur Erhaltung eben dieser Freiheit leistet, wenn es darauf ankommt. Wenn Nazis sich anschicken, das Ruder in unserem Land zu übernehmen, kommt es darauf an.
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